Klagelied 3

Ein weiterer Tag mit Kind auf dem Schoß, statt alleine und frei von Kümmer-Verpflichtungen. Die Beine fühlen sich ebenso schwer an wie meine Gedanken. Und während das Kind in mein Notizbuch kritzelt, dabei vor sich hinplappert über Burgen und Zahlen und Buchstaben, die es zu erkennen glaubt, lese ich in der Bibel. Klagelied Nummer 3. Passt ja irgendwie. Nur, dass es dem Autor viel viel schlechter geht, als mir. Seine Heimat wurde völlig zerstört und viele seiner Freunde und Nachbarn wurden in ein fernes Land verschleppt. Er lebt nun in den Trümmern und wird noch dazu verfolgt, gedemütigt, eingesperrt. Nein, da geht es mir hier doch wirklich gut, auch wenn ich jammere über schwere Beine, Gedanken und Herzen. Der Regen tut sein Übriges.

Aber da stoße ich auf Verse, die mich aufhorchen lassen:

„Der Gedanke an meine Not und Verlassenheit macht mich bitter und vergiftet mein Leben.

Trotzdem muss ich ständig daran denken, und das wühlt mich bis ins Innerste auf.

Deshalb will ich in mich gehen und meine Hoffnung auf den Herrn setzen.

Ja, seine Güte hört nicht auf.

Sein Erbarmen hat noch lange kein Ende.

Jeden Morgen erbarmt er sich von Neuem.

Gott, deine Treue ist unfassbar groß.

Ich bekannte: „Der Herr ist alles für mich!

Deshalb setze ich meine Hoffnung auf ihn.““

(Klagelieder 3,19-24 (BasisBibel))

Und dann kommt eine Lobeshymne auf all die guten Eigenschaften, die Gott in sich vereint und der Autor redet davon, wie gut es ist, sein Vertrauen in Gott zu setzen, selbst, wenn man am Boden ist.
Aber so endet das Klagelied nicht: das Leid wird beim Namen genannt, Gott vor die Füße geworfen, ihm ins Gesicht geschrien. Und Gott scheint es auszuhalten.
Fast zum Schluss wird von einem Erlebnis erzählt, als der Autor in einer Zisterne (Behältnis unter der Erde, in dem Regenwasser gesammelt wird) sitzt und das Wasser auf ihn herabstürzt. Eine Situation, die schlimmer gar nicht sein könnte:

Da rief ich deinen Namen, HERR, tief unten in der Zisterne.

Du hast mich gehört, als ich schrie:

„Verschließ nicht dein Ohr! Befreie mich!“

Du warst mir nahe, als ich dich rief.

Du sprachst: „Fürchte dich nicht!“

Klagelieder 3,55-57, BB

Leise, heilsame Tränen fließen meine Wangen hinunter. Mein Kind plappert weiter vor sich hin, ich lege die Decke wieder auf unsere Beine. Und beginne zu erahnen, dass Gott genau hier ist. Dass er mich liebevoll anschaut und fragt: „Wovor hast du eigentlich solche Angst? Ich bin da. Ich lasse dich nicht allein. Du denkst, du wüsstest, was gut für euch ist. Aber vertrau mir einfach. Such meine Nähe. Nimm dir Zeit, in dich zu gehen und mich dort zu finden.“

Und ich verstehe, dass diese Zusage nicht nur mir gilt, sondern auch den Frauen und Kindern in Afghanistan, die zwei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban furchtbar leiden. Auch den Menschen in der Ukraine, für die Kriege schon so lange Normalzustand ist. Und denen, die mit einer heftigen Diagnose leben und nicht wissen, ob sie in zwei, drei Monaten noch die Menschen sein werden, die sie momentan noch sind. Oder für diejenigen, die diese Menschen begleiten. Möget ihr alle, fern und nah, erfahren, wie Gott euch nahe ist und spricht: „Fürchte dich nicht!“

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