Mein Opa väterlicherseits: Wir waren frisch verheiratet und zogen bei meinen Großeltern ein. Wir hatten eine eigene kleine Küche und ein Bad, aber waren schon eng mit der Wohnung meiner Großeltern verbunden. Schon ein halbes Jahr nach unserer Hochzeit wurde mein Opa krank. Zuerst dachten wir, es sei eine Erkältung, aber dann ging das Fieber nicht mehr weg, auch der Husten nicht und sein Gesicht verfärbte sich gelb. Bauchspeicheldrüsenkrebs. Eine Operation im Dezember, die er knapp überlebte. Eigentlich hatte er all die lebensverlängernden Maßnahmen nicht gewollt. Er hätte da einfach sterben wollen. Aber meine Oma und wir hatten den Maßnahmen zugestimmt. Das konnte doch nicht das Ende sein?!? Er berappelte sich wieder, konnte die letzten Monate seines Lebens zu Hause verbringen. Klar war, dass der Tod kommen würde, und zwar bald.
Meine Oma
Meine Oma mütterlicherseits: Früher habe ich meine Oma belächelt, wenn sie uns mal wieder Handtücher schenkte. Jetzt ist sie tot. Heute lächle ich, weil ich an sie denke, wenn ich das Nagelset verwende. Oder das Besteck bei Feiern auf den Tisch kommt oder die mit Namen bestickten Handtücher für den Schwimmunterricht einfach eine gute Sache sind. Sie hat Dinge verschenkt, die mehr als ein paar Woche hielten. Dinge, die mich nun begleiten und begleiten werden, auch Jahre nach ihrem Tod. Danke Oma im Himmel. 😘
Mein Opa
Aber zurück zu meinem Opa. Er wusste nun also, dass er bald sterben würde. Er hat zu Lebzeiten gerne diskutiert und bestimmt gab es dabei die ein oder andere Verletzung. Aber in den letzten Wochen hat er Menschen aus seinem Umfeld bewusst noch ein letztes Mal getroffen (bzw. sie kamen zu ihm, mobil war er nicht mehr wirklich). Und er saß immer auf einem Stuhl, mit dem Blick auf die Blumen und Pflanzen, die er und Oma aus ganz Europa in ihren Garten gebracht hatten. Wie sie blühten, so wunderschön. Ein tiefer Frieden hat ihn in diesen letzten Wochen umgeben. Er wusste, was kommt, wo er hingeht. Da dachte ich: Wenn einem der Glauben so viel Halt und Mut und Zufriedenheit schenken kann, im Angesicht des Todes und der Schmerzen, dann muss da doch was dran sein.
Mein Jungscharkind
In der Jungschar ging es mal um das Thema „Auferstehung“, darum, dass Gott alles kann und darum, dass er sogar stärker ist als der Tod. Ich war vielleicht 16 Jahre alt oder so und als ein Kind mir die Frage aller Fragen stellte, wusste ich ehrlich gesagt nicht so richtig, was ich sagen sollte. Die Frage lautete: „Wenn ich dafür bete und ganz fest daran glaube, erweckt Gott meine Oma dann auch wieder zum Leben?“
Puuhhhh… Was ist eine gute Antwort darauf? Ich antwortete etwas in der Art, wie: „Gott kann das zwar machen, aber er macht das nicht immer. Irgendwann muss jeder mal sterben. Aber dann wartet ja noch was Tolles auf uns: Der Himmel.“
So richtig befriedigend war die Antwort nicht. Warum erweckt Gott nicht alle auf, wie Lazarus? Und was wäre geschehen, wenn die Priester und Schriftgelehrten Lazarus kurz nach diesem Wunder noch einmal umgebracht hätten? Hätte Jesus ihn dann noch einmal zum Leben erweckt? Und wie lange hat es dann gedauert, bis Lazarus dann doch irgendwann gestorben ist?
Die Leiche in der Kirche
In den Ferien war ich mit meiner Familie mal in der Toskana und immer, wenn ich in einer neuen Stadt bin, schaue ich mir die Kirchen an, an denen wir zu Fuß vorbeikommen (wenn die Türen aufgeschlossen sind). Von einer möchte ich erzählen: Ich kam rein und es sah ziemlich düster aus, weil die Fenster irgendwie nur oben und ziemlich klein waren und bis auf 3m Höhe kein Fenster begann. Ich entdeckte auch keine Kirchenbänke. „Toll!“, könnte hier der Gedanke sein, die Kirche wird auf verschiedene Weisen genutzt und man ist nicht auf Bänke festgelegt. Aber es waren auch keine Stühle oder Ähnliches da. (Heute weiß ich, dass es z.B. in serbisch-orthodoxen Kirchen nicht üblich ist, sich während des Gottesdienstes zu setzen. Vielleicht wurde also dort doch noch Gottesdienst gefeiert – nur eben im Stehen…)
Was ich aber sah, beunruhigte mich und ließ mich einige Zeit nicht locker. Vorne, hinter dem Altar war ein Sarg zu sehen. Dieser Sarg hatte eine Glaswand und hinter dieser Glaswand lag eine Leiche. Eine Mumie, wie ich später las. Sie lag so da und schaute in meine Richtung und die Hand war auf den Ellenbogen gestützt und ich sah Knochen und Verwesung. Irgendwie kam und komme ich nicht zurecht mit diesem Bild des Toten in der Kirche, die sich doch weder durch Verwesung noch allein durch Taten längst vergangener Gläubiger auszeichnen sollte, oder?
An was denkst du, wenn du über den Tod, über Trauer, das Sterben nachdenkst? Und welche Rolle spielt die Kirche hier? Sollte die Kirche ein Ort des Todes, der Verwesung sein? Vielleicht aber eine, in der Tod, Trauer, Vergänglichkeit seinen Platz hat. Eine, in die ich kommen kann, wenn mir gerade der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Weil ich hier Halt und Zuversicht finden kann, bei einem, der all das selbst erlebt hat.
Maria und Martha
In der Geschichte vom Tod und der Auferstehung von Jesus‘ Freund Lazarus handeln die beiden Schwestern Martha und Maria ganz unterschiedlich. Sie hatten Jesus über den Zustand Lazarus‘ informiert. Nun war er schon vier Tage tot. „Als Martha erfuhr, dass Jesus auf dem Weg zu ihnen war, eilte sie ihm entgegen. Maria aber blieb im Haus.“ (Johannes 11,20). Hier begegnen uns wieder die beiden unterschiedlichen Charaktere, wie wir sie kennen: Maria kümmert sich um die Leute in ihrem Haus, in dem sie mit ihnen redet. Martha will irgendetwas tun, produktiv sein. Da das Angesichts des Todes ihres Bruders aber kaum möglich war, tut sie das einzige, was für sie Sinn ergibt: Sie läuft Jesus entgegen. Nun geht es interessant weiter:
20 Als Marta hörte, dass Jesus auf dem Weg zu ihnen war, lief sie ihm entgegen. Maria blieb im Haus. 21 „Herr“, sagte Marta zu Jesus, „wenn du hier gewesen wärst, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. 22 Aber ich weiß, dass Gott dir auch jetzt keine Bitte abschlagen wird.“ 23 „Dein Bruder wird auferstehen!“, sagte Jesus zu ihr. 24 „Ich weiß, dass er auferstehen wird“, entgegnete Marta, „bei der Auferstehung an jenem letzten Tag.“ 25 Da sagte Jesus: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. 26 Und wer lebt und an mich glaubt, wird niemals sterben. Glaubst du das?“ 27 „Ja, Herr!“, antwortete sie, „ich glaube, dass du der Messias bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll.“ 28 Danach ging sie weg, um ihre Schwester Maria zu holen. „Der Rabbi ist da!“, sagte sie unbemerkt zu ihr. „Er will dich sehen!“ (Johannes 11,20-28)
Martha läuft Jesus entgegen. Sie tut etwas, setzt sich in Bewegung – obwohl zu Hause viele Leute sind, die ihr ihr Beileid aussprechen wollen. Ich glaube, dass es immer das Beste ist, was wir tun können, auch wenn das Haus noch so voller Leute ist. Martha geht zu Jesus. Wir haben es da heute leichter, wir müssen nicht erst zu ihm laufen, höchstens im übertragenen Sinne – uns abschotten von dem, was zwischen ihm und uns liegt. Wir können zu Jesus kommen und ihm unser Leid klagen.
Das große „Aber“
Martha sagt:
„Herr, wärst du hier gewesen, wäre mein Bruder nicht gestorben ABER auch so weiß ich, Gott wird dir alles geben, was auch immer du ihn bittest.“ (Johannes 11,21f)
Martha weiß um die große Kraft Jesu. Sie hat ein ermutigendes Gespräch mit Jesus. Am Ende hat sie es ausgesprochen: Jesus ist der Christus, der schon im Alten Testament verheißen und angekündigt wird, der Sohn Gottes, der Auferstehung und Leben bringt. Martha reicht dieses Gespräch, sie ist getröstet und findet Frieden über die Situation, dass ihr Bruder nun tot ist. Sie holt Maria, damit auch sie Jesus begegnet und Frieden über die Situation findet (so denke ich zumindest).
Kein „Aber“
29 Da stand Maria sofort auf und lief ihm entgegen. 30 Jesus war noch nicht ins Dorf hineingekommen. Er war immer noch an der Stelle, wo Marta ihn getroffen hatte. 31 Die Juden, die bei Maria im Haus gewesen waren, um sie zu trösten, sahen, wie sie plötzlich aufstand und hinausging. Sie dachten, sie wolle zur Gruft gehen, um dort zu weinen, und folgten ihr. 32 Als Maria nun an die Stelle kam, wo Jesus war, warf sie sich ihm zu Füßen und sagte: „Herr, wenn du hier gewesen wärst, dann wäre mein Bruder nicht gestorben.“
Auf Aufforderung hin geht nun auch Maria los. Die Leute folgen ihr. Maria wirft sich nieder und spricht Jesus an, sie formuliert genau die gleichen Worte wie Martha: „Wenn du hier gewesen wärst, dann wäre mein Bruder nicht gestorben“, mit dem einen Unterschied, dass bei Maria kein „Aber“ kommt. Sie scheint keine Hoffnung mehr zu haben. Es ist vorbei, mit dem Tod ist alles aus. Jesus leidet mit – nicht nur, weil sein Freund gestorben ist, sondern auch mit jedem einzelnen der Trauernden. Er ist erschüttert und als sie zum Grab gehen, da kann ich mir vorstellen, wie er mit seinem Vater im Himmel geredet und gerungen hat.
Unglaublich
Dann geschieht das Unglaubliche: Einer, der begraben und seit vier Tagen tot ist, kommt nun aus dem Grab. Jesus ist stärker als der Tod. Auf dieses Wunder hin werden einige, die das Ganze gesehen haben, zu Nachfolgern. Andere rennen zu den Pharisäern und petzen – immer was zu meckern.
Maria hatte ihr Hoffnung zusammen mit Lazarus begraben. Wenn Jesus da gewesen wäre, ja, dann hätte er noch etwas bewirken können. Aber Jesus zeigt durch dieses Wunder, dass er stärker ist, sogar stärker als der Tod. Ich glaube fest daran, dass diese Geschichte tatsächlich so passiert ist. Das Johannesevangelium wird spätestens auf 85-90 n. Christus datiert. Das bedeutet, dass die Menschen, die das miterlebt haben, oder zumindest ihre Kinder, auch teilweise noch lebten. Sie hätten leicht Einspruch dagegen erheben können. Diese Kraft, die in Jesus steckt, ist heute noch lebendig und Gott will durch den Heiligen Geist in uns wirken.
Wir Menschen sind unterschiedlich und wir gehen unterschiedlich mit krassen Situationen um. Ich bewundere Martha, dass sie Hoffnung hat, obwohl Lazarus schon vier Tage begraben ist. Ich bewundere sie dafür, dass sie Jesus entgegen aller Vernunft sagt: „Ich weiß, dass Gott dir auch jetzt keine Bitte abschlagen wird“. Lasst uns ein Beispiel an ihr nehmen und ebenso vertrauen, ebenso an das Unmögliche glauben. Gott hat gute Pläne für uns und unser Leben. Nicht immer endet es so, dass ein Toter aufersteht, aber immer wird es zum Besten werden, wenn wir unseren Weg mit ihm gehen. Ich will daran festhalten und euch ermutigen, das auch zu tun.
Unerhörte Gebete?
Jetzt kannst du zu recht sagen: Wann ist sowas wie bei Lazarus denn zuletzt passiert? Warum werden meine Gebete nicht erhört?
In der Bibel, in Matthäus 7,7 steht:
»Bittet und es wird euch gegeben!
Sucht und ihr werdet finden!
Klopft an und es wird euch aufgemacht!
Denn wer bittet, der bekommt.
Und wer sucht, der findet.
Und wer anklopft, dem wird aufgemacht.
Wer von euch gibt seinem Kind einen Stein,
wenn es um Brot bittet?
Oder eine Schlange,
wenn es um einen Fisch bittet?
Ihr Menschen seid böse.
Trotzdem wisst ihr, was euren Kindern guttut,
und gebt es ihnen.
Wie viel mehr Gutes wird euer Vater im Himmel
denen geben, die ihn darum bitten.«
Gebet erhört?
Christiane Tietz, unsere Kirchenpräsidentin, hat zum Thema Gebet in einem Podcast (Reflab) erklärt, dass ein Gebet in ihren Augen als erhört gelten kann, wenn die Person, um die es geht, die Fürsorge Gottes bemerkt. Das heißt nicht unbedingt, dass wie bei einem Wunschautomaten einfach die Bitte erhört wird (ich bete um das neue iPhone, aber bekomme nur ein gebrauchtes altes), sondern dass man merkt: Gott ist da und sorgt sich um mich. Er tröstet mich oder gibt mir Mut. Er hilft mir oder schenkt neue Kraft. Er erklärt mir die Situation oder schenkt mir Frieden im Herzen.
Offene Hände
Veronika Smoor hat das mal so beschrieben, dass sie immer mit offenen Händen durchs Leben gehen möchte. Sie schreibt: „…aber eine deiner offenen Hände, die hält er fest. So will ich immer weiter durch mein Leben gehen. Eine Hand offen, mit der anderen bei Jesus nach Halt suchend“ (Veronika Smoor, Hoffnung leuchtet. SCM: Holzgerlingen 2020, S. 59).
Manchmal fallen wir und das fühlt sich nicht gut an. Doch du wirst erleben, dass Gott dir gerade in den tiefsten Tiefen und heftigsten Ängsten begegnet. Tiefe im Leben kann bedeuten, dass sich gerade Veränderung anbahnt. Die passiert häufig nicht einfach so (vgl. Daniela Mailänder, wenn Gott zum Aufbruch ruft. Von Mut und der Unsicherheit als Chance. SCM Brockhaus: Holzgerlingen 2022, S. 171.).
Brian Wren fasst es so zusammen: „Brecht das Brot der neuen Schöpfung, wo die Welt noch Schmerzen hat. Sage ihrem düsteren Chor: ,Christus ist auferstanden! Weg mit dir!‘ Gott der Erste und Letzte ist mit uns.“ (nach Brian Wren, ebd.: 148). Auch im Trauern. Auch im Sterben.