Mit 180 gegen die Wand

Irgendetwas ist anders als sonst. Anna sitzt am Steuer ihres Opel Corsa. Sie fährt eine Straße entlang. Durch die geöffneten Fenster riecht sie den Duft der Stadt: Eine Mischung aus Abgasen und braunen Mülltonnen, die am Vormittag eigentlich schon hätten abgeholt werden sollen. Neben der Straße sind die Kastanienbäume heute besonders schön. Helles Licht strahlt durch die Kronen der Bäume. Doch wie aus heiterem Himmel taucht vor ihr plötzlich eine Mauer auf, in der Größe eines Zweifamilienhauses. Annas Augen weiten sich. So fest sie kann, tritt sie in die Pedale. Statt zu bremsen, beschleunigt das Auto. Die Wand kommt näher und näher. Anna tritt noch immer kräftig aufs Gaspedal, als ob sie von einer inneren Macht getrieben würde.

Warum?

Beim nächsten Wimpernschlag ist alles vorbei. Anna schaut sich um. Sie liegt in einem Bett. Ein weißes Laken liegt über ihr. Die Türe geht auf. „Warum schreist du so, Mama?“, fragt die kleine Lina.

Ja, warum? Es war doch nur ein Traum. Aber es hatte sich so echt angefühlt. Warum hatte sie nicht gebremst? Warum hatte sie Gas gegeben? Anna hebt das Laken und lässt Lina zu sich ins Bett schlüpfen. Während sie den Rücken ihrer Tochter krault, denkt sie weiter über die Erlebnisse der Nacht nach.

Vollgas

Anna war schon seit Wochen erschöpft. Schlechter Schlaf, viele Termine, familiäre Verpflichtungen. Es war viel gewesen in letzter Zeit. Trotzdem spielt die junge Mutter mit dem Gedanken, ein weiteres Projekt zu beginnen. Sie hatte mitbekommen, dass bei einem Sozialwerk dringend Helfer wurden. Keine allzu große Aufgabe, oder? Ein paar Termine würde sie wohl noch in ihren Kalender quetschen können. Annas Blick wandert zu Lina, die leise in ihren Armen schnarcht. „So ein kleines Wunder!“, schmunzelt Anna und schläft wieder ein.

Noch einmal

Ein paar Minuten später schaut Anna sich hektisch um. Da sitzt sie wieder, in ihrem Opel Corsa. Sie fährt die Kastanienallee entlang, schließt dieses Mal die Fenster, weil sie den Geruch von braunem Müll nicht länger ertragen kann und lächelt bei dem Gedanken an ihre Tochter. Doch im nächsten Moment taucht die Mauer auf, mindestens 3m hoch und 20m breit. Anna ist zu schnell, das weiß sie. Ihr bleibt nur noch wenig Zeit, eine Katastrophe abzuwenden. So fest sie kann, tritt sie in die Pedale, aber wieder gibt sie Gas. Sie rast mit unsagbarer Geschwindigkeit gegen die Wand und…. wacht auf.

Schweißgebadet findet sich Anna erneut in ihrem Bett. Was soll dieser Traum? Und dann gleich zweimal der gleiche? Noch einmal denkt sie an ihre To Do Liste, stöhnt bei all den Punkten, die darauf stehen und über das Wissen, dass sie, egal wie schnell sie beim Abarbeiten wäre, dennoch nicht alles schaffen würde. Außerdem die Anfrage ihres Chefs, ob sie das neue Projekt doch noch managen könnte? Und das Sozialwerk wartet auch noch auf eine Rückmeldung. Da muss sie unbedingt Bescheid sagen. Anna nimmt ihr Handy in die Hand: Sie öffnet den Chat und beginnt zu tippen…

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