So machen wir das….

….jetzt gerade und wann anders dann vielleicht auch wieder anders.

Ich habe euch vor kurzem (hier) schon erzählt, dass ich „Der Bullerbü Komplex. Und die Kunst, es gut sein zu lassen“ von Lars Mandelkow gelesen habe. Der gute Herr Mandelkow ermutigt darin, dass man über die Momente/Angewohnheiten usw. spricht, in denen man es gut sein lässt. Daher kommt hier ein Beitrag über mein „gut sein lassen“:

Expertin

Ich habe „Bildung und Förderung in der Kindheit“ studiert. Ich habe quasi einen Bachelor darin gemacht, wie man das Beste aus einem Kind heraus holen kann. Ich habe Studien gelesen, unter welchen Bedingungen die Kinder am besten gedeihen, den höchsten IQ haben, die wenigsten psychischen Störungen und ich habe gelernt, was die Kinder wann wo und wie lernen sollen und können. Und wenn das nicht klappt, wie man das feststellt, diagnostiziert und dann „die Stärken stärkt und die Schwächen schwächt“.

Damit alle Zauberwörter, die wir gelernt haben, auch in diesem Text (wie in jeder unserer herausragenden Hausarbeiten) vorkommen, ergänze ich natürlich noch: Jedes Kind ist einzigartig, hat seine eigene Sicht auf die Welt und individuelle Voraussetzungen (Heterogenität nennt man das). Und gerade diese Vielfalt (auch: Diversität) ist eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. An dieser Stelle geht ein lieber Gruß raus an Mandy und Leonie, die besten Kommilitoninnen, die man sich für ein Bachelor-Studium nur wünschen konnte.

Vorsätze

So. Und weil ich so gut Bescheid weiß, konnte ich früher anderen auch ganz genau sagen, was man bei welchen Problemen wie am besten machen kann. Dann kam unsere große Tochter. Irgendwie habe ich gefühlt die Hälfte meiner guten Vorsätze über Bord geworfen. Es bliebe aber noch jede Menge Vorsätze als Gepäck auf meinem Schiff dabei und auch wenn mein Mann manches immer mal wieder in Frage stellte, hielt ich es dennoch fest. Ich merkte aber, dass meine Fixierung auf das, was mein Erziehung mit diesem Kind alles tun könnte, ihr schaden würde. Ich dachte (unterbewusst natürlich): Wenn ich nur all die Dinge tue, die ich gelernt hatte, dann würde sie sich sehr gut entwickeln.

Foto von ArtHouse Studio von Pexels

Versagerin!?

Das Problem aber war: Erstens hatte ich beim 24/7 Mama sein gar keine Kraft, all das durchzuziehen, was ich mir vorgenommen hatte und zweitens „funktionierte“ manches auch nicht, weil es sich z.B. einfach nicht gut anfühlte. Und was noch viel schlimmer war: Was wäre, wenn ich versagen würde, wenn ich die Erziehung vermasseln würde und mein Kind am Ende wegen meiner schlechten „Arbeit“ Minderwertigkeitskomplexe oder eine psychische Krankheit oder was auch immer bekommen würde? Was, wenn ich das Kind einmal zu lange hatte schreien lassen und sie deswegen das Gefühl hatte, niemand sei da? (Um nur einen meiner verrückten Gedanken zu nennen.).

Nicht alles ist Erziehung

Und weil ich das alles irgendwie gemerkt habe, war für mich klar, dass es besser nicht bei einem Einzelkind bleiben sollte. Unsere Mittlere kam zweieinhalb Jahre später und bei ihr war ich viel gelassener. Und immer mehr Vorsätze wurden über Bord geworfen, hinein ins dunkle Meer, auf nimmer wiedersehen. Und ich merkte: Die einen können sich stundenlang auf ein Buch konzentrieren, die anderen nicht. Die einen sind feinmotorisch begabt, die anderen nicht. Die einen lernen das Sprechen und Laufen früher, die anderen später. Die einen schlafen besser ein, die anderen schlechter. Und alles ist okay. Es braucht keinen Wettbewerb. Zwei kleine, unterschiedliche, willensstarke Wunder.

Kapitulation

Dann kam eineinhalb Jahre später noch unser Kleiner und wenn ich nach den beiden noch nicht überfordert genug war, um anzuerkennen, dass mal eine halbe Stunde alleine vorm Fernseher auch kein Weltuntergang sind, dann jetzt. (Die Tabelle mit den Medienzeiten aus der Vorlesung hatte sich eingebrannt, genauso auch die Warnung, Kinder NIEMALS alleine etwas gucken zu lassen, weil bewegte Bilder plus Ton eine schiere Überforderung für die kleinen Kinder seien usw.) Ich kapitulierte und tue es immer noch. Auch die Stoffwindeln machen hier gerade mehr Winterschlaf als alles andere.

Demut

Manchmal frage ich mich, ob mich Gott genau an diesen Punkt führen wollte, damit ich anderen Mamas gegenüber barmherzig und weich werde, damit ich nicht (stumm) verurteile, damit ich mich nicht über andere erhebe, sondern mitfühlend sagen kann: „Ich kann dich verstehen. Wir versuchen es doch alle, irgendwie gut zu machen, das Schiff irgendwie heil ans Ziel zu bringen.“ Was ist eigentlich das Ziel, frage ich mich gerade, wo ich doch die ganze Zeit dieses Bild benutze.

Zielrichtung

Ich glaube, mein Ziel ist, dass die Kinder wissen, dass ich sie liebe. Mit all ihren Wutanfällen und Dickköpfen und Ideen und Eigenheiten und Stärken und Schwächen. Ich will ihnen auch die Liebe zu meinem Mann zeigen. Und ich möchte, dass sie wissen, dass Gott sie bedingungslos liebt, egal, was kommt. Und dass sie seine Schöpfung lieben und ehren: Die Menschen, die mit uns auf der Reise sind, die nahen und die fernen und die Natur, die uns umgibt.

Foto von Pixabay von Pexels

Mein „Dorf“

Diese Reise können wir nicht alleine gehen. Ich habe jede Menge Unterstützung an Bord: Da sind die Omas und Opas, die sich viel um uns und die Kinder kümmern, außerdem sogar Uromas und Großtanten und Cousinen, die babysitten und Zeit schenken. Da sind liebe Freund*innen, die für uns da sind, die uns begleiten und zu denen die Kinder einen engen Draht haben. Erzieherinnen und Tagesmütter, die Liebe und Nähe (auch in Pandemiezeiten) schenken.

Wie machst du das?

Zum Schluss noch ein paar konkrete Schritte, wie wir es hier gerade „gut sein lassen“:

  • Ich arbeite derzeit 15 Wochenstunden (ich habe eine feste Anstellung und ungefähr zwei Stunden pro Woche eine Honorartätigkeit). Mein Mann arbeitet voll. Das klappt bei uns nur, weil wir (für fünf Wochenstunden) eine Haushaltshilfe engagiert haben. Ich bin dankbar für dieses unglaubliche Privileg, das mich soo sehr entlastet. Es ist jedes Mal ein Geschenk, von der Arbeit zu kommen und es ist schon geputzt.
  • Gebügelt wird bei uns nicht. Außer, wenn eine Hochzeit ansteht.
  • Entweder mein Mann kauft ein oder wir nutzen den Abholservice.
  • Sonntags mache ich keine Haushaltsarbeit.
  • Ich habe verständnisvolle Freundinnen, die an unserer Freundschaft festhalten, auch wenn ich mal wieder Tage gebraucht habe, um auf Nachrichten zu antworten oder das Treffen schon zum dritten Mal verschoben werden musste.

So machen wir das….

….jetzt gerade und wann anders dann vielleicht auch wieder anders.

Es gibt auch Tage, an denen stelle ich all das in Frage (darum geht’s auch in meinem Beitrag nächste Woche): Ob es den Stress wert ist, zu arbeiten. Ob ich die Kinder nicht damit überfordere, dass sie einen bewegten Alltag haben oder ob sie besser schlafen würden, wenn sie wüssten, dass ich abends immer da bin. Ob ich meinen Mann überfordere, weil er noch Unterricht vorbereiten muss und sich gleichzeitig um die Kids kümmern muss.

Und dann ist es wieder Zeit zu schauen, ob wir auf unserer Reise noch auf dem Weg sind, den wir uns mal vorgenommen haben. Welche kleinen Veränderungen sind nötig, um auf Kurs zu bleiben? Beim Segeln habe ich gelernt, dass man nur in Bewegung die Richtung verändern kann. Ich will in Bewegung bleiben. Dabei bin ich froh, zu wissen, dass Gott mit uns unterwegs ist, dass er den Weg schon kennt und uns überall dort schon erwartet, wo wir hinkommen.

Ein Interview über das Buch, das man auf den Fotos sieht, findet ihr übrigens hier.

Nachtrag (36 Stunden nach Veröffentlichung):

Mir ist noch wichtig zu sagen, dass mein Mamasein und gleichzeitig Arbeiten bei uns eine Entscheidung ist, die wir aufgrund einer privilegierten Situation ganz frei treffen können. Manche können nicht entscheiden, wie viel und was sie arbeiten. Für manche ist es gut, ihre Zeit ganz für die Familie und vielleicht ihr Ehrenamt zu verwenden. Dass man sich aber überlegt, was die eigenen Ziele sind und was dafür notwendig ist (und vor allem: was man auch gut sein lassen kann), das gilt meiner Ansicht nach für jede Situation.

Mir hat die Arbeit so sehr gefehlt, dass ich ohne sie unglücklich war. Durch verschiedene Gespräche mit meinem Arbeitgeber und Kompromisse, die Menschen in meinem Umfeld bereit sind, einzugehen, klappt es gerade ganz gut. Auch das sehe ich als Geschenk und nicht als selbstverständlich. Allen, die für uns Kompromisse eingehen: Dickes Dankeschön! Ohne euch ginge das (so) nicht 🙂 !

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