Fragen an unsere Verteidigungsministerin

rothaarige Frau mit Top, von hinten zu sehen. Auf ihrem Schulterblatt steht "PEACE".
Foto von Polina Tankilevitch von Pexels

Sehr geehrte Frau Lambrecht,

wenn ich momentan die Nachrichten höre, bin ich etwas ratlos. Vielleicht können Sie oder Ihre Berater mir ja weiterhelfen!? Ich habe da ein paar Fragen: Mich beunruhigen die schnell getroffenen Entscheidungen über neue Wege in der Verteidigungspolitik. Gibt es derzeit ernsthafte Diskussionen über Alternativen zur Aufrüstung?

Unbemannte Drohnen

Frau Lambrecht, ich habe gehört, dass die Deutsche Bundeswehr erstmals mit bewaffneten Drohnen ausgestattet wird. Das bedeutet, dass Menschen an einem sicheren Ort sitzen können, mit einer Tasse Kaffee in der Hand und Menschen aus der Ferne durch eine Maschine töten können. Ist es das, was wir in Zukunft wollen? Ja, ich verstehe schon, es ist für „uns“ ungefährlicher, als Menschen „face-to-face“ kämpfen zu lassen, aber noch einmal: ist es das, was wir wollen? Und stimmt das tatsächlich?

Zerstörtes Haus mit offener Türe
Foto von cottonbro von Pexels

Verteidigungsausgaben

Habe ich das richtig verstanden? Im Jahr 2021 wurden mehr als 12 Milliarden Euro zur Materialbeschaffung und -Erhaltung eingeplant (Quelle: siehe hier). Für 2022 wurde das Verteidigungs-Etat sowieso schon aufgestockt (von 46 Mrd. Euro auf rund 50 Mrd. Euro), hinzu kommen die 100 Milliarden Euro Sonderausstattung, die gerade beschlossen wurden und durch neue Kredite finanziert werden müssen. Die sollen doch auch noch für Material/Austattung verwendet werden, oder? Was ist das Ziel von immer mehr und mehr? Handlungsfähigkeit, ja, aber was genau haben Sie denn vor? Und wofür muss die NATO von jedem Land 2% des BIP haben? Nur, weil Länder wie die USA bereit sind, einen solch hohen Preis zu zahlen?

Ich frage mich, ob rund 50 Milliarden Euro plus nun 100 Milliarden Euro zusätzlich für Verteidigung in einem guten Verhältnis zu anderen Ausgaben im Staatshaushalt stehen. Wären nicht auch im Bereich Gesundheit, Bildung, Entwicklungshilfe, Umwelt usw. weitere Ausgaben von Nöten? Ehrlich gesagt wäre es mir wichtiger, dass unser Land zum Beispiel in Bildung investieren würde. Vielleicht haben wir dann in Zukunft mehr weise Diplomaten statt mehr unbemannte Hightech-Drohnen. Vielleicht haben wir dann mehr clevere Ingenieure, die dafür sorgen, dass die Energie, die in Deutschland gebraucht wird, auch in Deutschland produziert wird, statt mehr Düsenjets, die die Möglichkeit haben, Atomwaffen zu „transportieren“.

weiße Taube in Hand vor blauem Hintergrund
Foto von Artem Podrez von Pexels

Nukleare Teilhabe

Frau Lambrecht, wo wollen wir hin mit Deutschland? Ich kenne mich nicht sehr gut mit Politik aus. Was bedeutet denn „unser Land verteidigen können“? Bedeutet es, dass wir gemeinsam mit den NATO-Partnern im Ernstfall Atombomben in andere Länder „transportieren“ wollen? In Russland sehen wir doch gerade, dass es vorkommt, dass nur Einzelne für den Krieg verantwortlich gemacht werden können, nicht aber ein ganzes Volk. Also wozu brauche ich dann Atomwaffen? Haben wir das Recht, über Tausende Menschenleben zu urteilen? Was ist denn mit der Würde des Menschen? Für wen gilt sie und für wen nicht? Und falls es nur um Abschreckung geht: Wenn sich die Macht- und Regierungsverhältnisse in ein paar Jahren wieder geändert haben, wollen wir dann selbst Atomwaffen besitzen, um notfalls auch das nächste Land „abschrecken“ zu können, wenn dort ein anti-demokratischer Herrscher an die Macht kommen sollte?

Erinnern Sie sich noch an die Umstände des Mauerfalls?

Ich selbst war zu der Zeit noch nicht geboren, aber Sie müssten sich erinnern können. Ist die Mauer 1989 in Deutschland durch Atomwaffen, Drohnen usw. gefallen? Ich habe gelernt: Nein. Also: Es gibt sie doch, die friedlichen Demonstrationen, die friedlichen Umbrüche, die Revolutionen ohne Gewalt.

Auch in der Ukraine passiert in manchen Städten gerade genau das: Menschen gehen auf die Straße, mit Flaggen statt Gewehren und Granaten in der Hand auf die Straße. Sie marschieren vor den russischen Soldaten auf und nieder und zeigen ihnen und der ganzen Welt: Ihr kämpft hier gegen unsere Kinder, Familien, Mütter und Väter, Schwestern und Brüder, Freund*innen und Großeltern. Sie haben dafür meinen allergrößten Respekt. Ich hoffe und bete, dass die russischen Soldaten diese Menschen mit solchen Augen sehen: Nicht als Feinde, sondern als einfacher Bürgerinnen und Bürger.

Kaugummiautomat an Berliner Mauer
Foto von cottonbro von Pexels

Absolution zum Massenmord

Mich hat die Frage, wie jemand die Absolution zum Massenmord geben kann, schon länger beschäftigt. Die Einsicht, die ich hatte, kam mir beim Lesen des Buches „Ester“ aus der Bibel. Ich habe viele Parallelen zum Russland-Ukraine-Konflikt gesehen. Dort wird der Befehl gegeben, das jüdische Volk, das sich gerade in Babylon befindet, auszurotten.

„Der König und Haman ließen sich zum Trinken nieder, während die Stadt in heller Aufregung war.“ (Ester 3,15b)

Das erinnert mich an Putin hinter seinem riesigen Schreibtisch. In der Geschichte kommt der König erst zum Umdenken, als ihm bewusst wird, das dieser Erlass bedeutet, dass auch Menschen, die ihm selbst lieb und teuer sind, sterben würden. Und dabei wird klar: Gewalt und Krieg bringt keine Gewinner hervor, auf keiner Seite. Immer sind es Brüder, Schwestern, Freund*innnen, die dort Leid erleben, ganz zu schweigen von all den zerstörten Städten, den zerstörten Herzen, den zerstörten Kindheit usw. Ich glaube, dass die Gewaltspirale nicht durch Aufrüstung unterbrochen werden kann sondern nur dann, wenn Herzensverbindungen mit irgendeinem persönlichen Schicksal aufgebaut werden. Wenn hinter den Zahlen auf einmal Geschichten stehe, wenn uns das Leid auf einmal tatsächlich zu Herzen geht, dann kommen wir ins Nachdenken.

Holocaust Mahnmal Berlin
Foto von pixabay von Pexels

Mit-Leiden-schaft

Vielleicht haben Sie „Der Junge im gestreiften Pyjama“ gelesen oder gesehen. Ich war am Ende wirklich erschüttert über mich selbst: Ich weinte um den einen Jungen, der in die Todeskammer ging, aber über die Millionen getöteten Juden weinte ich (mindestens an diesem Abend) nicht.

Ich glaube, dass wir Leid und Schmerz auf dieser Welt leicht wegschieben können, solange es uns nicht zu nahe ist. Aber ich glaube auch, dass es unsere Aufgabe ist, dieses Leid immer wieder nah an uns heranzuholen. Genauso wie es auch die Aufgabe der Politiker*innen ist, sich die Einzelschicksale immer wieder zu Herzen zu nehmen. Ich glaube, dass wie Dietrich Bonhoeffer es sagt, Kämpfe nicht durch Waffen gewonnen werden, sondern mit Gott. Daher meine dringende Bitte an Sie: Die Angst über den Zustand unserer Welt sollte nicht für Aufrüstung sorgen, sondern für Zusammenhalt und klare Bekenntnisse zu Frieden und Diplomatie (so, wie es ja auch vor Eskalation der Ereignisse in der Ukraine noch proklamiert worden ist).

Auf dieser Welt gibt es doch schon genug Waffen, um alles, was darauf lebt, auszulöschen. Wozu also weiter und weiter machen? Frau Lambrecht, warum nicht über Abrüstung als Strategie nachdenken? Aufrufe hierzu gibt es nicht nur von Pädagog*innen wie mir, sondern auch von Wissenschaftlern (einen Artikel für diejenigen, die -wie ich- nicht so tief im Thema sind, gibt es hier).

"Peace"-Schriftzug vor sakralen Fenstern
Foto von RODNAE Productions von Pexels

Und weil Dietrich Bonhoeffer es besser ausdrücken kann, als ich, möchte ich Sie mit dem folgenden Text ermutigen, weiter über „Frieden“ nachzudenken:

„Frieden“ von Dietrich Bonhoeffer

„Nur aus dem Frieden

zwischen zweien und dreien

kann der große

Friede einmal erwachsen,

auf den wir hoffen.

Lasst uns allem Hass, Misstrauen, Neid, Unfrieden,

wo wir nur können ein Ende machen.

Es gibt keinen Weg zum Frieden

auf dem Weg der Sicherheit.

Denn Friede muss gewagt werden.

Es hat ein großes Wagnis,

und lässt sich nie und nimmer sichern.

weinendes Auge
Foto von Karolina Grabowska von Pexels

Friede ist das Gegenteil von Sicherung.

Sicherheiten fordern heißt Misstrauen haben,

und dieses Misstrauen gebiert wiederum Krieg.

Sicherheiten suchen heißt sich selber schützen wollen.

Frieden heißt sich gänzlich ausliefern

dem Gebot Gottes,

keine Sicherung wollen,

sondern in Glaube und Gehorsam

dem allmächtigen Gott

die Geschichte der Völker in die Hand legen

und nicht selbstsüchtig über sie verfügen wollen.

Kämpfe werden nicht mit Waffen gewonnen,

sondern mit Gott.“

(aus: Dietrich Bonhoeffer: Frieden. Aus: Eckardt, Jo-Jacqueline (Hrsg.): Dietrich Bonhoeffer. Finde deinen eigenen Weg. Gütersloher Verlagshaus: Gütersloh 2015, S. 108f.)

Sehr geehrte Frau Lambrecht,

ich wünsche Ihnen in dieser schwierigen Zeit einen kühlen Kopf und ein warmes Herz. Ich wünsche Ihnen, dass Sie weise Entscheidungen treffen, die Deutschland in eine gute und friedliche Zukunft weisen. Den Menschen in der Ukraine, in Russland, in Deutschland und der gesamten Welt wünsche ich Frieden: innerlich und äußerlich.

Briefumschlag mit Herzchen
Foto von cottonbro von Pexels

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch sagen, dass Gott auch dann tiefen Frieden im Herzen schenken kann, wenn die Welt um einen herum tobt. Ich wünsche Ihnen und allen anderen Leser*innen Zeiten, in denen Sie das Leid der Welt nicht fertig machen muss, sondern in denen Sie Kraft, Hoffnung, Weisheit und Liebe schöpfen können. Und dann wünsche ich Ihnen auch wieder solche, in denen Sie der ganzen Wucht menschlichen Leids auf dieser Welt ins Gesicht sehen, Momente, in denen Ihr Herz bricht und Sie bewegt sind von den Einzelschicksalen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie anschließend Kraft, Hoffnung, Weisheit und Liebe austeilen und proklamieren.

Herzliche Grüße von

Judith Klein

Bei diesem Brief hatte ich redaktionelle Hilfe von meiner lieben Freundin Doro. Herzlichen Dank dafür! <3

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